
"Der Kreidekreis", Hamburgische Staatsoper 1983, Szenenfoto von Joachim Thode mit Beatrice Niehoff und dem Ensemble.
„Ich lese jetzt wie verrückt, um bald etwas Neues komponieren zu können.”
Zemlinsky
Mit seiner siebten Oper „Der Kreidekreis” (1930–32) entfernte sich Zemlinsky in mancher Hinsicht von dem bisher bei ihm vorherrschenden Typus der psychologisierenden Charakteroper. Klabunds „Spiel nach dem Chinesischen” „Der Kreidekreis” (1925), das auf ein altes chinesisches Märchenspiel zurückgeht und das Zemlinsky selbst als Libretto einrichtete, ist kein Seelendrama, sondern eine sozialkritische Parabel. Im Zuge der damaligen China-Mode war das Bühnenstück seinerzeit ein großer Erfolg.
Auch musikalisch reagierte Zemlinsky auf aktuelle Tendenzen: Er verband seinen eigenen, lyrisch-expressiven Ton mit fernöstlichem Kolorit, Stilmitteln des Jazz und der „Zeitoper” und fügte das Ganze in eine Form, die mit gesprochenen Dialogen zwischen den Szenen dem epischen Theater und dem Singspiel nahesteht. Bewundernswert ist die Ökonomie der Mittel: Zemlinsky gelingt es, das Milieu und die holzschnittartigen Figuren präzise darzustellen und zugleich die Geschichte der Haitang, der wohl stärksten Frauenfigur aller seiner Opern, auf sehr persönliche Weise zu erzählen.
„Der Kreidekreis” zeitigte eine tragische Parallele zwischen Bühnengeschehen und dem wirklichen Leben: Die Oper, die um die Unmenschlichkeit eines despotischen Regimes kreist, wurde selbst ein Opfer politischer Willkür. Nach der erfolgreichen Züricher Uraufführung am 14. 10. 1933 und der deutschen Erstaufführung in Stettin (1934) wurde sie von den Nazis zensuriert und gekürzt, dann von den Bühnen verbannt. Erst 1955 kam es in Dortmund wieder zu einer Aufführung der Oper, die sein größter Erfolg zu werden versprach, hatten doch 1933 gleich mehrere Bühnen um das Recht auf die Uraufführung gewetteifert. Zieht man die acht vollendeten, neun unvollendeten und zahllosen schon während der Lektüre verworfenen Opernprojekte zusammen, hat sich Zemlinsky sein Leben lang mit der Opernkomposition beschäftigt. Viele der Projekte scheiterten aus textlichen, nicht aus musikalischen Gründen. In Stilfragen war Zemlinsky hier zwar sehr offen, umso skrupulöser aber bei der Suche nach Stoffen mit einer dramatischen Idee, die seinem Naturell entsprachen.
"Der Kreidekreis", Hamburgische Staatsoper 1983, Szenenfoto von Joachim Thode mit Beatrice Niehoff und dem Ensemble.
Brief Zemlinskys an Ernst Hutschenreiter, August 1902. Zemlinsky beschäftigte sich 1902/03 und wieder 1912 mit der Vertonung eines Librettos von Hutschenreiter nach Gorkis Erzählung „Malwa”. Der Brief gibt einen Einblick in die Werkstatt des Komponisten: „[…] Ich bitte Sie auch den Rhythmus der Verse unterschiedlich zu machen. Es können doch ganze Stellen 3füssige Verse sein. Sehr musikalisch ist auch folgender Rhythmus: Doch geh mir zum Vater und sage ihm die Mutter siecht langsam dahin. […]” Nachdem Mahler Zweifel an der dramatischen Kraft des Stoffs geäußert hatte, gab Zemlinsky das Projekt 1903 vorübergehend, 1912 dann endgültig auf.
Libretto zu „Der Kreidekreis”, Beginn IV. Akt, englische Übersetzung mit handschriftlichen Korrekturen von Louise Zemlinsky, die sie anlässlich einer Aufführung am University of Cincinnati College Conservatory 1988 anfertigte. Die Entstehung von „Der Kreidekreis” fiel in die Zeit der Heirat von Louise und Alexander Zemlinsky am 4. 1. 1930. Als Hochzeitsgeschenk widmete Alexander die Partitur seiner Frau.