
Schönberg und Zemlinsky, Fotografie von Otto Schlosser, Prag 1912
„Vor allem hast du im ,talentierten Schwager' einen großen Freund und Verehrer.”
Zemlinsky, 1902
Wann Zemlinsky und Schönberg sich erstmals begegneten, ist nicht eindeutig bezeugt. Vermutlich lernten sie sich um 1895 im Orchesterverein „Polyhymnia” kennen, den Zemlinsky leitete und in dem Schönberg als Cellist spielte. Zwischen den beiden Musikern entwickelte sich eine enge Freundschaft, die trotz mancher Krisen 30 Jahre lang hielt und auch im hohen Alter, nachdem der Kontakt mehr als zehn Jahre unterbrochen war, noch herzlich war. Das wohl schönste verbale Zeugnis dieser Freundschaft ist Schönbergs Formulierung, Zemlinsky sei „in den vielen Jahren immer derjenige geblieben, dessen Verhalten ich mir vorzustellen versuche, wenn ich Rat brauche.” (1921)
In künstlerischer Hinsicht entwickelte sich die Beziehung der so unterschiedlich veranlagten Komponisten von einem Lehrer-Schüler-Verhältnis zu einer diskursiven, gleichberechtigten Partnerschaft, in der beide von den Stärken des anderen profitierten. Zemlinsky lehrte Schönberg zunächst im Tonsatz, sah mit ihm seine Kompositionen durch, brachte einige zur Aufführung und ebnete ihm manchen Weg im Wiener Musikleben. Zum „Unterricht” gehörte auch, dass Schönberg 1897 den Klavierauszug von Zemlinskys erster Oper „Sarema” anfertigte. Noch in Schönbergs Berliner Jahren – mittlerweile hatte er Zemlinskys Schwester geheiratet – ließ der „Lehrer” dem „Schüler” immer wieder Arbeiten zukommen, um dessen finanzielle Lage aufzubessern.
Um 1902 begann Schönberg, sich kompositorisch von Zemlinskys Einfluss freizumachen und eigene Wege zu gehen, deren Radikalität später zu tiefgreifenden ästhetischen Differenzen führen sollte. Die beiden 1902/03 entstandenen sinfonischen Dichtungen „Pelleas und Mélisande" (Schönberg) und „Die Seejungfrau” (Zemlinsky) dokumentieren den sich wandelnden Personalstil beider. Ungebrochen war jedoch der gemeinsame Einsatz für die zeitgenössische Musik, zu deren Pflege sie 1904 die „Vereinigung schaffender Tonkünstler” gründeten. Ihr Engagement fand weite Beachtung – in dem legendären „Skandalkonzert” vom 31. 3. 1913 im Musikverein erlebten sie jedoch auch die Grenzen dessen, was öffentlich zu erreichen war.
Schönberg und Zemlinsky, Fotografie von Otto Schlosser, Prag 1912
Programmzettel 31. März 1913, Großer Musikvereinssaal, Wien. Das Konzert ist als „Skandalkonzert" in die Geschichte eingegangen: Nach heftigen Tumulten zwischen Befürwortern und Gegnern der Musik musste es noch vor der letzten Programmnummer abgebrochen werden. Zum ersten Mal hat bei diesem Konzert Schönberg für eine Aufführung eines Werkes von Zemlinsky gesorgt.
Brief Zemlinskys an Schönberg, Prag, Dezember 1916. Der Brief ist eine Antwort auf eine Geschenkadresse, die Schönberg ihm auf die Partitur seines „Pierrot lunaire" geschrieben hat. „Liebster Freund, du hast mir eine große Freude mit Deiner Partitur gemacht. Und die Inschrift ist fein u. sehr sehr wahr! Dabei dachte ich mir auch, daß wir ,Besseren' das Schicksal des Mondsüchtigen teilen: Haben wir uns von der Erde – von den Andern – entfernt, erhoben, dem Mond zu, dem Unirdischen zu, so werden wir doch schliesslich von der Erde wieder ,angerufen' u. zerschmettern in der Tiefe. Ich meine den Konflikt: Streben nach hohem Unirdischen auf der einen Seite, auf der andern: das Hohe auf der Erde suchen, verankert sein mit allem Irdischen. [...]"