Freundschaft zweier Ungleicher
Zemlinsky und Schönberg / I

„Vor allem hast du im ,talentierten Schwager' einen großen Freund und Verehrer.”
Zemlinsky, 1902

Wann Zemlinsky und Schönberg sich erstmals begegneten, ist nicht eindeutig bezeugt. Vermutlich lernten sie sich um 1895 im Orchesterverein „Polyhymnia” kennen, den Zemlinsky leitete und in dem Schönberg als Cellist spielte. Zwischen den beiden Musikern entwickelte sich eine enge Freundschaft, die trotz mancher Krisen 30 Jahre lang hielt und auch im hohen Alter, nachdem der Kontakt mehr als zehn Jahre unterbrochen war, noch herzlich war. Das wohl schönste verbale Zeugnis dieser Freundschaft ist Schönbergs Formulierung, Zemlinsky sei „in den vielen Jahren immer derjenige geblieben, dessen Verhalten ich mir vorzustellen versuche, wenn ich Rat brauche.” (1921)

In künstlerischer Hinsicht entwickelte sich die Beziehung der so unterschiedlich veranlagten Komponisten von einem Lehrer-Schüler-Verhältnis zu einer diskursiven, gleichberechtigten Partnerschaft, in der beide von den Stärken des anderen profitierten. Zemlinsky lehrte Schönberg zunächst im Tonsatz, sah mit ihm seine Kompositionen durch, brachte einige zur Aufführung und ebnete ihm manchen Weg im Wiener Musikleben. Zum „Unterricht” gehörte auch, dass Schönberg 1897 den Klavierauszug von Zemlinskys erster Oper „Sarema” anfertigte. Noch in Schönbergs Berliner Jahren – mittlerweile hatte er Zemlinskys Schwester geheiratet – ließ der „Lehrer” dem „Schüler” immer wieder Arbeiten zukommen, um dessen finanzielle Lage aufzubessern.

Um 1902 begann Schönberg, sich kompositorisch von Zemlinskys Einfluss freizumachen und eigene Wege zu gehen, deren Radikalität später zu tiefgreifenden ästhetischen Differenzen führen sollte. Die beiden 1902/03 entstandenen sinfonischen Dichtungen „Pelleas und Mélisande" (Schönberg) und „Die Seejungfrau” (Zemlinsky) dokumentieren den sich wandelnden Personalstil beider. Ungebrochen war jedoch der gemeinsame Einsatz für die zeitgenössische Musik, zu deren Pflege sie 1904 die „Vereinigung schaffender Tonkünstler” gründeten. Ihr Engagement fand weite Beachtung – in dem legendären „Skandalkonzert” vom 31. 3. 1913 im Musikverein erlebten sie jedoch auch die Grenzen dessen, was öffentlich zu erreichen war.